
Abitur-Entlassungsfeier 2024
Den Stoßseufzer hinsichtlich des Jahrgangs, „den wir noch lange vermissen werden“, haben sich gewiss nicht nur hartgesottene Lehrerseelen zu eigen gemacht, sondern auch die Newcomer im Kollegium dürften noch mit Wehmut an diese famose Formation zurückdenken. Deren Abschied von der Schulgemeinde hatte schon im März mit der Motto-Woche eingesetzt. Dabei präsentierten die Absolventen sich selbst als Blickfänge, beginnend mit dem Thema „Helden der Kindheit“ und kulminierend in dem Motto „Overdressed“: Aktionen, mit denen sie für willkommene Unterbrechungen im Schulalltag sorgten. Abi-Streiche, die mit einer Entführung der Schulleiterin und einer gewiss gut gemeinten Erpressung ihrer Mitarbeiter einsetzten, sowie ein würdevoller und zu Herzen gehender Abschieds-Gottesdienst in St. Marien dokumentierten den Spielraum, über den hinweg sich die Initiativen dieses Ausnahme-Jahrgangs erstreckten.
Nun also die Entlassungsfeier, zu der die Absolventen nicht zuletzt alle ihre früheren Klassenlehrer, auch die aus ihrer Grundschulzeit, mit einer Einladung bedacht hatten – ein Novum, das auf dankbare Anerkennung stieß. Studienleiterin Silke Barcenas und die Abiturientin Alica Sander führten durch das Programm, das die Clefs mit dem Song „Iris“ und seinem beziehungsreichen Refrain „I just want you to know who I am“ eröffneten. Schulleiterin Dr. Anne Brenner griff in ihrer Laudatio die auch in den Medien immer wieder gestellte Frage nach dem Sinn der enormen Stoffmenge auf, in die sich die Abiturienten zu vertiefen hätten:
„Warum mussten wir das alles lernen, wenn uns in der Zukunft ganz andere Fähigkeiten abverlangt werden? Wozu uralte Dramen und weltfremde Gedichte lesen?“ Komme es im Leben nicht eher darauf an, zu wissen, wie man eine Steuererklärung verfasst oder einen Mietvertrag abschließt?
Am Beispiel der Entstehung der attischen Demokratie zeigte Dr. Brenner auf, dass etwa historisches Wissen keineswegs „verstaubt, sondern hochaktuell“ sei: Anderswo habe das Volk seinen Herrschern willenlos gehorchen und deren Macht und Reichtum mehren müssen. In der Athener Demokratie jedoch hätten die Bürger über alle relevanten Fragen selbst entschieden, auch darüber, ob und wann Krieg geführt wurde. Wenngleich die Demokratie sich als Staatsform durchgesetzt habe, gerate sie jedoch immer wieder in Gefahr. Aktuell geschehe dies insbesondere aufgrund der Anonymität in den sozialen Medien, in denen die Geringschätzung und die Beleidigung Andersdenkender grassiere und manch einer sich auf das „Blubbern in der Blase“ beschränke, auf die Kommunikation mit denjenigen, die ohnehin dasselbe meinten. Schule müsse daher ein Bewusstsein schaffen für den Wert von kontroversen, aber bereichernden Debatten. Diese aber erforderten Zeit und die Bereitschaft zu sorgfältiger Analyse. Den Absolventen legte die Schulleiterin daher nahe: „Viel ist gewonnen, wenn ihr einen inneren Kompass erworben habt, mittels dessen ihr entscheiden könnt, welche Positionen tolerierbar sind und welchen ihr euch entgegenstellen müsst. Dieser Kompass ist die Menschlichkeit.“
Landrätin Nicole Rathgeber begann ihre Würdigung der Absolventen mit einer Referenz auf Max Raabes Song „Heute ist ein guter Tag, um glücklich zu sein“. Gewiss sei es auch ein Tag, um wehmütig zurückzublicken:
Plötzlich sei der Lebensabschnitt „Schule“ geschlossen, aber bestimmt werde sich nun für jeden ein ganz eigenes und bedeutendes Kapitel öffnen. Die Zukunft gehöre dabei denjenigen, die „an die Schönheit ihrer Träume“ glaubten, wie schon Mark Twain gewusst habe.
Manchmal könne der Weg zwar steinig werden – und natürlich würden sich auch neue Prüfungen ergeben: „Jetzt aber werden Dinge kommen, die euch selbst interessieren. Nutzt eure Talente, vertraut auf eure Stärken - und seid frech, seid wild, seid wunderbar!“ – eine Empfehlung, mit der die Landrätin den Bogen ihrer Bezüge bis hin zu Astrid Lindgren spannte.
Mario Ziegler als Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung dankte den Lehrern, deren Engagement die jungen Leute geprägt habe, aber auch den Eltern, die als „die stillen Helden des Tages“ gewürdigt werden sollten. Den Absolventen empfahl er, Erfolg nicht nur in Form von Leistungen, sondern auch im Hinblick auf die Art und Weise wahrzunehmen, in der wir „als Menschen“ handelten.
Bürgermeister Frank Hix reflektierte in seiner Gratulationsrede die Beobachtungen, die er kurz zuvor gemacht habe, als die Absolventen sich zu ihren Gruppenfotos aufgestellt hatten: „Der Fotograf brauchte sich nicht großartig anzustrengen. Ihr habt von vornherein entspannt und glücklich ausgesehen.“ Er beneide die jungen Menschen um dieses Gefühl. Ihnen stehe nun die Welt offen. Gleichwohl appellierte er an sie, auf dem Weg dorthin ihre Heimat im Herzen zu behalten.
Inga Löser und ihr Schul-Orchester nahmen den Tenor der Ansprachen einerseits mit dem lebensbejahenden Stück „Viva la vida“ auf, andererseits aber auch mit dem Titel „Idea 22“, der die Kraft menschlicher Nähe in Zeiten der Krise thematisiert.
Als Abiturientin und als langjähriges Orchestermitglied dankte Julia Ullrich der Maestra vor allem für die „Freude am gemeinsamen Musizieren“. Frau Löser habe sie „hochmotiviert und geduldig“ über ihre ganze Zeit an der Rhenanus-Schule hinweg begleitet. Gern denke Julia an den Moment zurück, an dem sie noch als Grundschülerin am „Tag der offenen Tür“ den Förderstufenchor erlebt und sich spontan dazu entschlossen habe, mitzumachen. Die Zeit der Proben sei „magisch“ gewesen. Den Gedanken, dass dies nun der letzte Auftritt sei, müsse sie erst noch verarbeiten.
Aaron Wesche als Absolvent der Klasse Q4a kündigte seine Rede als das „Highlight des Abends“ an – und enttäuschte die damit verbundenen Erwartungen keineswegs. Seine Reminiszenzen an die vergangenen neun Jahre kreisten um Kopfschmerzen, den Konkurrenzkampf um die schlechtesten Kursnoten, Kuriosa zu Knochenbrüchen und weitere martialische Erfahrungen im Zusammenspiel von Buttermessern und Mobiliarverschleiß. Nicht ganz überraschend habe die Klasse „gefühlt alle paar Monate einen neuen Klassenlehrer“ bekommen. Irgendwann jedoch habe „der Autismus nachgelassen“, wie sein Klassenkamerad Bastian Hennemuth so treffend formuliert habe.
Dank der ChatGPT-Prämienversion habe Aaron selbst in allen Fächern ein Abitur hingelegt, das besser als in allen seinen Kursen ausgefallen sei. Und dass er in Deutsch einmal besser als in Mathematik abschneiden würde, hätte er früher nicht für möglich gehalten. Zur Wahrheit gehörten auch die Debatten im PoWi-Unterricht über den Hygienezustand der Klasse. Irgendwann sei ihm in diesem Kontext verboten worden, noch einmal die Wendung „Ja, aber“ zu verwenden. Besonderen Dank richtete Aaron an Frau Larbig-Baum und Herrn Niedenbrück als Tutoren des Jahrgangs, an Frau Barcenas als Studienleiterin und an seine Jahrgangs-Kollegin Stine-Lotta Hering für ihre ebenso umsichtige wie unermüdliche Planung des Abi-Balls.
Luis Kühnemuth griff für die Q4b das Etikett der „Streberklasse“ auf und räsonierte, ob dieser Ruf nicht einfach nur aus der notorischen Reputation ihrer Parallelklasse resultiert sei. Auch Luis reflektierte die Klassenlehrerwechsel, die mitunter zwar angekündigt, aber ganz anders umgesetzt worden seien und die Klasse mit einem aus einem Langzeitstudenten und einem Sportlehrer bestehenden pädagogischen „Dream Team“ konfrontiert hätten. Die anwesenden Schüler veranlasste diese Erinnerung spontan dazu, lauthals den Refrain eines bekannten Wolfgang-Petry-Titels zu skandieren. Als letzte Rettung vor realistischen Sport-Noten habe sich für sie die Pandemie erwiesen. Einen skeptischen Blick warf Luis auf die Leistungen und Erfahrungen der Klasse in den zweiten Fremdsprachen: Der Latein-Unterricht etwa habe sich auf Hinrichtungen, Kriege und die Misshandlung von Sklaven fokussiert. Ihre Ergebnisse im Fach Französisch wiederum seien so unterirdisch gewesen, dass Frau Thüne eigens schwanger geworden sei, um dem Kurs zu entfliehen. Später sei lehrerinnenseits die Erwartung, Verben korrekt zu konjugieren, storniert worden. Es habe im Sinne der didaktischen Reduktion schließlich genügt, sie dann eben irgendwie zu konjugieren. Wie vor ihm schon Aaron erinnerte sich Luis dankbar an die gelungene Abschlussfahrt an den Garda-See – und auch an die Gesänge im Bus, besonders die aus der letzten Reihe.
Frau Larbig-Baum als Tutorin der Q4a begann damit, die verschiedenen Varianten des Begriffs „Wege“ zu deklinieren: Da war die Rede von solchen Wegen, die zum Ziel führten, aber auch von Umwegen oder gar von Abwegen, von Hindernissen, die man erst noch aus dem Weg räumen müsse. Zu den Abwegen hätten das notorische Raucher- und weitere Disziplinprobleme gehört, aufgrund derer sie beschlossen habe, die erste Klassenfahrt in die „absolute Pampa“ zu unternehmen, eine von Herrn Huhn unterstützte Entscheidung, die in einer entspannten Harz-Reise resultiert habe. Angemessene Kleidung sei das große Thema auf der Berlin-Fahrt gewesen, also eine Abkehr von der Fokussierung auf den Schick der Jogging-Hose, zumal ja auch der Bundestag besucht werden sollte. Aber auch hier hätten sich die Schüler durchaus einsichtig und kooperativ gezeigt. Dass nach ihrer eigenen Vermählung und der damit verbundenen Namenserweiterung letztlich doch darauf verzichtet wurde, ihre Klassenzimmertür mit dem Schild „Baumschule“ zu schmücken, erfülle die Tutorin mit Genugtuung. Zu tollen Persönlichkeiten hätten sich ihre Schüler mittlerweile entwickelt, denen sie „Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten“ wünsche.
Herr Niedenbrück wies in seiner Rede auf die besondere Situation eines „Tutors ohne Tutanten im eigenen Unterricht“ hin. Tatsächlich habe er mit Leon Hofert nur einen Schüler aus der eigenen Klasse - im Fach Sport - unterrichtet, ein Phänomen, das im Laufe der Ansprache nicht mehr aufgelöst wurde. Auf die Zukunft der Absolventen anspielend, wies er auf die Erfahrung seines Sportkollegen Thomas Weise hin, zu dessen Absolventen mittlerweile bereits mehrere Millionäre gehörten. Scherzend fragte er die Schüler: „Wo werdet ihr euch einreihen?“
Zu einem emotionalen Moment kam es, als die Abiturientin und langjährige Clefs-Vokalistin Cora-Lee Paschke einen Titel ankündigte, nach dem ihr eigener Vater seit Coras erstem Auftritt als Fünftklässlerin bei jedem Anlass stets aufs Neue gefragt habe: „Spielt ihr heute wieder ‚Angels‘ von Robbie Williams?“ - ein Song, der trotz alledem nie wieder auf dem Programm gestanden habe. „Deshalb erklingt dieses Stück jetzt ganz speziell für Dich, Papa!“ Die Abiturienten trugen mit ihren digitalen Feuerzeugen dazu bei, die Aura dieses Augenblicks zu unterstreichen.
Bei einem märchenhaften Mittelwert von 1,89 als Note für den Gesamt-Jahrgang und angesichts von gleich vier Zeugnissen, die den Traum-Durchschnitt 1,0 erreichen, erweisen sich die Abiturienten 2024 tatsächlich als akademische Ausnahme-Athleten. Zehn von ihnen erlangten einen Noten-Durchschnitt mit einer „1“ vor dem Komma: Lennart Schulz, Stine-Lotta Hering und Sarah Ullrich (jeweils 1,8), Laura Nguyen (1,4), Mathilda-Elisabeth Kolodziej (1,2), Cora-Lee Paschke (1,1) sowie Julia Ullrich, Marie Homeyer, Aaron Wesche und Juli Kenter (jeweils 1,0). Auszeichnungen für das besondere Engagement im Fach Musik erhalten Juli Kenter, Julia Ullrich, Cora-Lee Paschke und Paul Hilbert. Würdigungen im Fach „Darstellendes Spiel“ gehen an Jenna Klenke, Stine-Lotta Hering, Alica Sander und Sarah Ullrich. Die Fächer Chemie und Mathematik vergeben ihre Preise jeweils an Aaron Wesche. Julia Ullrich wird für ihre Leistungen in den Fächern Geschichte und Englisch (LK) gewürdigt, Cora-Lee Paschke für ihre Komoetenz im Fach Englisch (GK). Marie Hohmeyer erhält dank ihrer druckreifen Texte die Würdigungen der Fächer Deutsch und Englisch (jeweils im LK). Aus dem GK Deutsch werden die Leistungen von Juli Kenter prämiert, die zu alledem auch noch ein Stipendium der Studienstiftung des Deutschen Volkes erhält. Luis Kühnemuth wird für sein politisches Engagement von Staatsminister Michael Roth ausgezeichnet und nach Berlin eingeladen.
Ein Jahrgang, der in vielerlei Hinsicht Standards gesetzt hat.
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