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Alice im Wunderland

In Ray Bradburys dystopischem Roman „Fahrenheit 451“ gelten der Besitz und das Lesen von Büchern als sozial schädlich und damit als kriminell. Stoßen mechanische Spürhunde irgendwo noch auf einen Fetzen gedruckter Literatur, wird dieser umgehend von einer pervertierten Feuerwehr entzündet und vernichtet. 
Lewis Carrolls Roman „Alice im Wunderland“ gilt Dissidenten außerhalb der Stadt dabei als eines der schlicht unverzichtbaren Werke, die sie unbedingt vor dem Vergessen schützen wollen, indem sie sie auswendig lernen und im Gedächtnis bewahren.

Auch John Lennon hatte es dieser Text angetan: Sein psychedelisch anmutender Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ sei von Alice und ihrem Weg in eine ganz andere Welt inspiriert gewesen, offenbarte der Beatle.

Das weiße Kaninchen, dem Alice ins Wunderland folgt, findet sich in Pop- und Rocksongs mit dem Titel „White rabbit“ wieder, angefangen von Jefferson Airplanes Auftritt auf dem legendären Woodstock-Festival.

Und im Science-Fiction-Film „The Matrix“ empfängt der junge Hacker Anderson auf seinem PC die geheimnisvolle Botschaft, derzufolge er dem weißen Kaninchen folgen solle, das er dann in Form einer Tätowierung auf der Schulter einer Discogängerin entdeckt.

Auch Isabelle Sterns Theatertruppe konnte sich dem Zauber des Kaninchens und dem des ganzen Werkes nicht entziehen - und so folgen ihre Zuschauer der kleinen Alice (Paula Heinemann) und dem Kaninchen (Eileen Bender) durch das Erdloch in die verrückte Zauberwelt von Herzsoldaten (Alwin Bangert und Tim Bräunig), Hutmacher (Josefine Hochapfel) und Grinsekatze (Deborah Hellwig), zu den Elfen (Melina Shabazyan und Lotta Harseim), zum Herzkönig (Tamino Herrfurth) und zur Herzkönigin (Hannah Trube).

Mit dem Herrscher der Finsternis (Niklas Daub) und seinem Diener Blix (Louan Blieves) wurden der Originalhandlung weitere Gestalten hinzugefügt.

Mit diesem und mit vielen anderen Mitteln ist es der Stern-Truppe gelungen, sich von der Zuckrigkeit der Disney-Verfilmung aus dem Jahre 1951 freizuschwimmen, die bei vielen bis heute den Blick auf das eigentliche Werk von Lewis Carroll verstellt.

Aus dem Original erhalten geblieben sind bei alledem Alices Erfahrung des Größer- und des Kleinerwerdens, die als eine Parabel auf die Irritationen der Pubertät gelesen werden kann. Die verrückte Teegesellschaft mag auch in dieser Inszenierung als Spott auf die Absurditäten der Erwachsenenwelt verstanden werden.

Feigheit und Verlogenheit veralbert Tamino Herrfurth als Herzkönig überzeugend, wenn er seine Soldaten gern in den Kampf vorausschickt, sich selbst aber vornehm zurückhält und dafür stets fadenscheinige Ausreden wie diese findet:

"Was für ein König wäre ich denn, wenn ich meine Soldaten nicht zeigen lassen würde, was sie in der Ausbildung gelernt haben. Ich lasse euch dem Ruhm“, sagt er - und seine Mimik und Körpersprache zeigen, dass er sich selbst nicht glaubt.

Als offen bösartig spielt Niklas Daub den Herrn der Finsternis, der die Sonne als seinen „tödlichsten Feind“ betrachtet, die Welt mit „Tod und Angst“ überziehen und bei der Gelegenheit auch gleich die Wunderlandbewohner vernichten will.

Einen der stärksten Auftritte hat Hannah Trube als wilde Waldhexe mit ellenlanger Nase und als Herzkönigin in ebenso spektakulärer Kostümierung. Hannah hat sich in der Stern-Truppe offenbar auf die Rolle der „fiesen Alten“ kapriziert und spielt dabei ihr mimisches Talent und ihre Bühnenerfahrung aus. Gebieterisch betritt sie den Saal und lässt bei der Gelegenheit gleich ein paar Wunderlandbewohner köpfen. 

An die Stelle der Gerichtsverhandlung im Originaltext ist in dieser Inszenierung ein Tanzwettbewerb getreten, in dessen Verlauf aber auch hier die Arroganz der Macht offenbar wird, soll doch die eindeutige Publikumssiegerin Alice kurzerhand gefangengenommen und enthauptet werden. Es gelingt der jungen Heldin, sich zu befreien und mit der Erkenntnis in ihre Welt zurückzukehren: „Nirgend ist es schöner als daheim!“

Die Inszenierung zeigt bei alledem, dass Alices Traumwelt alles andere als ideal ist, sondern überall Gefahren auf die Heldin warten, die sie nur dank ihres kindlichen, aber ungetrübten Urteilsvermögens überwinden kann - eine Eigenschaft, die Paula Heinemann als Hauptdarstellerin in beeindruckender Weise verkörpert.

Die Sentenz des Abends aber bleibt der Herzkönigin vorbehalten:

„Typisch! Wenn eine Frau besser ist als ihr Mann, ist sie gleich eine Hexe.“

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